Was zählt, ist unter’m Strich

Dr. Ma­thi­as Mid­del­berg be­rich­tet am Rats­gym­na­si­um über Hans Cal­mey­er

Hans Cal­mey­er ist in Os­na­brück ein be­kann­ter Na­me. Au­ßer­halb von Os­na­brück aber ist der Rechts­an­walt, der auch ei­ne Zeit lang Schü­ler des Rats­gym­na­si­ums ge­we­sen war, weit­ge­hend un­be­kannt. Zu Un­recht, fin­det der Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­te Ma­thi­as Mid­del­berg, der am 21. Ja­nu­ar Schü­le­rin­nen und Schü­ler des 11. Jahr­gangs über den neu­es­ten For­schungs­stand in­for­mier­te. Hans Cal­mey­er näm­lich hat tau­sen­den von Men­schen, die nach den Nürn­ber­ger Ras­se­ge­set­zen als Ju­den ein­zu­stu­fen wa­ren und da­mit hät­ten de­por­tiert wer­den sol­len, das Le­ben ge­ret­tet.

Als Ras­se­re­fe­rent in den be­set­zen Nie­der­lan­den war er in Zwei­fels­fäl­len die ent­schei­den­de In­stanz. Men­schen mit zwei jü­di­schen Groß­el­tern­tei­len wä­ren in Deutsch­land zwei­fels­frei als Ju­den ein­ge­stuft wor­den, so­lan­ge sie nicht be­wei­sen konn­ten, dass sie auch zwei „ari­sche Groß­el­tern­tei­le“ hat­ten. Cal­mey­er je­doch dreh­te den Spieß bei der Be­weis­last ein­fach um. Dem­zu­fol­ge muss­ten die deut­schen Be­hör­den nach­wei­sen, dass die Per­so­nen ein­deu­tig als jü­disch an­zu­se­hen sei­en. Die­ser „Nach­weis“ er­folg­te durch Nach­fra­ge bei der jü­di­schen Ge­mein­de, die dann – um die An­trag­stel­ler zu schüt­zen – ei­ne et­wa­ige Mit­glied­schaft ein­fach be­stritt.

So oder auf ähn­li­che Wei­se konn­ten et­wa 3000 Ju­den vor dem si­che­ren Tod be­wahrt wer­den. Den­noch ist Cal­mey­er bis heu­te um­strit­ten. Ei­ni­ge jün­ge­re nie­der­län­di­sche His­to­ri­ker wer­fen ihm vor, er sei als Teil des Be­sat­zungs- und Un­ter­drü­ckungs­re­gimes eher Tä­ter als Wi­der­ständ­ler. Mid­del­berg aber er­greift Par­tei für den Rechts­an­walt. Man kön­ne na­tür­lich ge­sin­nungs­ethisch ar­gu­men­tie­ren, dass man sich nie­mals auf ei­ne Mit­ar­beit im Na­zi­re­gime ha­be ein­las­sen dür­fen. Ein Ver­ant­wor­tungs­ethi­ker aber, wie Cal­mey­er und Os­kar Schind­ler es ge­we­sen sei­en, fra­ge im­mer da­nach, wel­che Fol­gen sein Han­deln oder Un­ter­las­sen ha­be. Un­term Strich ha­be Cal­mey­er durch sei­ne Mit­tä­ter­schaft viel mehr Ju­den ge­ret­tet, als wenn er sei­ne Ar­beit nie­der­ge­legt und sich da­mit die Hän­de nicht schmut­zig ge­macht hät­te. Mid­del­berg sieht sich hier auch be­stä­tigt da­durch, dass Cal­mey­er in der is­rea­li­schen Ge­denk­stät­te Yad Vas­hem als „Ge­rech­ter un­ter den Völ­kern“ ge­ehrt wor­den sei. Cal­mey­er sei zwar ein schwie­ri­ger und ei­gen­sin­ni­ger Cha­rak­ter ge­we­sen sei, doch mög­li­cher­wei­se sei dies ge­ra­de die Vor­aus­set­zung ge­we­sen, dass er in­ner­halb des Re­gimes so ei­gen­sin­nig ent­schie­den und sich du­durch auch selbst in Ge­fahr ge­bracht ha­be. Denn im Ju­li 1944 woll­te die SS die Ent­schei­dun­gen Cal­mey­ers noch ein­mal über­prü­fen, dass es da­zu nicht ge­kom­men ist, war al­lein dem Vor­marsch der Al­li­ier­ten zu ver­dan­ken.

Cal­mey­er – so das Fa­zit die­ses an­re­gen­den Vor­mit­tags – war viel­leicht kein Held und Wi­der­stands­kämp­fer wie Graf Stauf­fen­berg, aber er hät­te auch über Os­na­brück hin­aus ein grö­ße­res In­ter­es­se ver­dient.

NEH, 21.01.2016; Fo­tos: NH und NEH

2560 1707 Ratsgymnasium Osnabrück
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