Auf ein Ge­spräch mit dem Eu­ro­pa­meis­ter

Lang­stre­cken-Ass Jan Fit­schen kehr­te in sei­ne Schu­le zu­rück

 Zum „Bi­blio­theks­ge­spräch“ hat­te die Ver­ei­ni­gung ehe­ma­li­ger Rats­gym­na­si­as­ten ihr Neu-Mit­glied Jan Fit­schen (Jahr­gang 1977, Ab­itur 1996) ein­ge­la­den. Er be­rich­te­te von sei­nem Bil­dungs­weg und be­ruf­li­chen Wün­schen, bis ihm dann sein Sport­ta­lent in die Que­re kam.

„Lauf, Jun­ge, das kann dein Ren­nen wer­den!“, rief der Fern­seh­re­por­ter mit sich über­schla­gen­der Stim­me dem Os­na­brü­cker Aus­nah­me­ath­le­ten Jan Fit­schen zu, als die­ser im 10.000-Meter-Finale bei den EM 2006 in Gö­te­borg zum End­spurt an­setz­te und die drei füh­ren­den Läu­fer ei­nen nach dem an­de­ren weg­putz­te.

War­um der Ti­tel ei­nes Eu­ro­pa­meis­ters so ziem­lich das höchs­te ist, was ein Lang­stre­cken­läu­fer wei­ßer Haut­far­be er­rei­chen kann, wie nie­der­ge­schla­gen man ist, wenn ei­ne blö­de Er­käl­tung ein hal­bes Jahr qual­vol­ler Trai­nings­vor­be­rei­tung zu­nich­te­macht, in­wie­fern der ehr­li­che, nicht do­pen­de Ath­let sich gleich drei­mal be­tro­gen fühlt, wie er­nied­ri­gend die Do­ping-Kon­trol­len sein kön­nen – all das und noch viel mehr schil­der­te Fit­schen sei­nem Pu­bli­kum.

Wenn ein 28-fa­cher Deut­scher Meis­ter mal wie­der sei­ne al­te Pen­ne be­sucht, dann rei­chen die Stüh­le nicht. We­gen des star­ken An­drangs muss­te der Ehe­ma­li­gen-Ver­ein als Ver­an­stal­ter kurz­fris­tig das „Bi­blio­theks­ge­spräch“ mit Jan Fit­schen aus der Bi­blio­thek in den grö­ße­ren Mu­sik­saal ver­le­gen. Fit­schen hielt nicht den Stan­dard­vor­trag über Trai­nings­dis­zi­plin, Kri­sen­ma­nage­ment und Selbst­mo­ti­va­ti­on, den er nach Be­en­di­gung sei­ner Pro­fi-Kar­rie­re schon oft vor Wirt­schafts­leu­ten oder Sport­ver­ei­nen ge­hal­ten hat. Er ging sehr stark auf das Rüst­zeug ein, das ihm die all­ge­mein­bil­den­den Schu­len mit­ge­ge­ben ha­ben. Zum Auf­takt brach­te er ein Klas­sen­fo­to, das ihn als zwölf­jäh­ri­gen Milch­bu­bi in der Rats­gym­na­si­ums-Au­ßen­stel­le Ever­s­burg zeigt. Ziem­lich lan­ge dau­er­te es, bis das Pu­bli­kum ihn er­kannt hat­te. Auch an­we­sen­de Klas­sen­ka­me­ra­din­nen wa­ren kei­ne gro­ße Hil­fe, nach­dem sie sich selbst kaum aus­ma­chen konn­ten.

Wi­der al­le Er­war­tun­gen aus heu­ti­ger Sicht ver­wer­te­te er sein Sport­ta­lent nicht nutz­brin­gend im Ab­itur. Sport ge­hör­te nicht zu den Prü­fungs­fä­chern. Sein Phy­sik­leh­rer ha­be ihn sehr ge­prägt, be­rich­te­te Fit­schen, und so be­leg­te er Ma­the und Phy­sik als Leis­tungs­kur­se. Lauf­wett­kämp­fe – im Tri­kot des SV At­ter und spä­ter des OTB – ge­hör­ten da zwar auch schon zu sei­nem Le­ben, aber nicht im Traum ha­be er sich da­mals vor­stel­len kön­nen, im­mer im Kreis her­um­zu­lau­fen und da­mit ein­mal Geld zu ver­die­nen. Fol­ge­rich­tig steu­er­te er nach Schu­le und Zi­vil­dienst ei­nen „an­stän­di­gen“ Be­ruf an, wech­sel­te nach Bo­chum und stu­dier­te dort Phy­sik.

Nun war sei­ne Wahl auf Bo­chum al­ler­dings nicht we­gen ei­nes be­son­de­ren Ru­fes der Phy­sik-Fa­kul­tät ge­fal­len, son­dern we­gen der hoch­klas­si­gen Trai­nings­mög­lich­kei­ten im be­nach­bar­ten TV Wat­ten­scheid 01. Un­ter An­lei­tung ei­nes haupt­be­ruf­li­chen Trai­ners ge­lang ihm hier der Durch­bruch an die Spit­ze Deutsch­lands und spä­ter Eu­ro­pas auf der Mit­tel- und Lang­stre­cke. Fit­schen eil­te von Er­folg zu Er­folg, wur­de 1996 nach dem ers­ten Deut­scher-Meis­ter-Ti­tel im Cross­lauf zum „Sport­ler des Jah­res“ in sei­ner Hei­mat­stadt Os­na­brück ge­wählt, sam­mel­te ei­nen Po­kal nach dem an­de­ren ein und konn­te spä­tes­tens nach dem Er­rin­gen der Eu­ro­pa­meis­ter­schaft 2006 gut von Start­gel­dern, Prä­mi­en und Wer­be­ver­trä­gen le­ben. Dass das Phy­sik­stu­di­um – Spe­zi­al­ge­biet La­ser- und Plas­ma­phy­sik – dar­un­ter litt, kann er sich heu­te la­chend ver­zei­hen, denn: „Nach 21 Se­mes­tern ha­be ich mein Di­plom doch noch hin­ge­kriegt, ich bin eben ein Freund der Aus­dau­er.“ Und in dem Be­wusst­sein, dass es auch noch ein Be­rufs­le­ben nach dem ak­ti­ven Sport­ler­da­sein ge­ben wer­de, häng­te er gleich noch ein Stu­di­um der Wirt­schafts­wis­sen­schaf­ten an.

Der Rück­tritt vom Leis­tungs­sport kam nach sei­ner zwei­ten Fer­sen-Ope­ra­ti­on 2015. Fit­schen be­kennt, seit­dem nicht schlech­ter zu le­ben als zu den ak­ti­ven Zei­ten. Er ar­bei­tet als Trai­ner, Be­ra­ter, Wer­be­bot­schaf­ter und Co-Kom­men­ta­tor im Fern­se­hen, er schreibt für Lauf­zeit­schrif­ten, er hilft Sport­ar­ti­kel­her­stel­lern bei der Wei­ter­ent­wick­lung ih­rer Pro­duk­te wie bei­spiels­wei­se Stirn­lam­pen, er geht auf Vor­trags­rei­sen, er hält Lauf­camps et­wa auf Mal­lor­ca oder in Ke­nia ab. Und er ist Buch­au­tor: In „Wun­der­läu­fer­land Ke­nia“ geht er dem Er­folgs­ge­heim­nis der schwar­zen Lauf­wun­der nach. „Oh­ne den so­li­den Schul­un­ter­richt in Deutsch, Eng­lisch und den Na­tur­wis­sen­schaf­ten stün­de ich heu­te nicht da, wo ich jetzt ste­he“, gab er ins­be­son­de­re den an­ge­hen­den Rats-Ab­itu­ri­en­ten mit auf den Weg. Die an­we­sen­den Leh­rer und der Schul­lei­ter hör­ten das ger­ne.

 

Text: Joa­chim Dierks, Fo­to: Lo­thar Weh­leit.

2560 1707 Ratsgymnasium Osnabrück
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